Dog MIA - initiate SAR

veröffentlicht von Rodney Rehm
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Schnitzeljagd ohne Wegweiser

challo liebe Schweizer und Normalgebliebenen,

heute aus der Serie "Geschichten von, mit und über Kellerkinder":
"Schnitzeljagd ohne Wegweiser"

Wie bereits in Auf den Hund gekommen erzählt, haben sich meine Eltern vor 3 Wochen einen Hund zugelegt. Der immer noch äußerst schüchterne Floh erschrickt recht schnell und bekommt panische Angst. Normalerweise zieht er dann wie blöd an der Leine, wenn man allerdings die Leine nicht fest genug hält, dann....

... wird man nach viel zu wenigen Stunden Schlaf am Sonntag Morgen um viertel nach neun aus dem Bett gerissen - "der Hund ist ausgebüxt". Perfekt, "The dog is Missing In Action" (MIA) Ich verstehe immer noch nicht wie man nach solch einer Info schlagartig hell wach sein kann, aber ansonsten ein übler Morgenmuffel ist. Jedenfalls packe ich meinen Bruder (Robin) ins Auto und will gerade losfahren ein paar gängige Wege abfahren. Doch dann steht auf einmal Saschas Pick-Up hinter mir und versperrt mir den Weg.

Dein Dad hat gemeint, wenn ich einen weißen Hund mit Leine sehe, soll ich euch Bescheid sagen. Leider hab ich's Handy vergessen, sonst wär das etwas schneller gegangen...

das passt schon, wo hast ihn denn gesehen?

An der B27. Er lief in Richtung Jestetten. Viel Glück - ich muss weiter.

Klasse, während die Eltern noch irgendwo in der Pampa nach dem Hund suchen, bekomme ich schon die erste Chance. Also nix wie hin. Tatsächlich trottet Floh samt Leine auf der linken Seite der Straße, allerdings Richtung Lottstetten. Warnblinker rein, rechts ran, aus dem Auto raus und über die Straße gehechtet. Kaum bemerkt der Hund meinen Bruder und mich, rast er wie von der Tarantel gestochen die Bahngleise lang. Robin und ich ändern unsere Angriffswinkel und geben Gas - querfeldein. Nach einem etwa 300m Sprint über zwei Äcker gebe ich die Verfolgung wegen meiner Raucherlunge auf und kehre zum Auto zurück, um den Hund von der anderen Seite des Waldstücks am Bahndamm abzufangen. Robin sprintet derweil dem Hund weiter hinterher. Als ich dort dann endlich ankam, stand nur noch mein Bruder halb tot nach seinem Kilometer-Sprint am Straßenrand und zeigt in Richtung Bahnbrücke etwa 300m weiter. Robin konnte leider nicht ausmachen, ob er über die Brücke Richtung Oberdorf gerannt ist oder ob sich der Hund unterhalb der Bahnlinie gehalten hat.

Robin und ich fahren also einfach mal das ganze Dorf ab. Ich wusste gar nicht, dass es in diesem 2'300 Einwohner starken Dorf so viele Straßen gibt. Nach einer Stunde sämtliche Straßen abfahren, die ich finden kann, geben wir die Suche fürs erste auf und finden uns zum Kaffee und Frühstück zuhause ein.

Mein Vater, der den Zustand "dog missing in action" verschuldet hat, hört und hört nicht auf sich Vorwürfe wegen seines vermeintlichen Versagens zu machen. Wir versuchen ihm klar zu machen, dass es jetzt wichtiger ist den Hund zu finden, als sich derbe Vorwürfe zu machen. Parallel sinkt die Stimmung meiner Mutter immer weiter in den Keller - wir versuchen auch sie etwas aufzuheitern: "Der wird schon wieder kommen, der macht nur ne Erkundungstour". Natürlich bin ich mir nicht sicher ob das stimmt, was ich da gerade von mir gegeben habe, aber wie man so schön sagt: "think positive".

Nun sind wir alles keine Optimisten. Diese Family bezeichnet sich da eher als realistisch.

Beim Planen des nächsten Überfluges unseres vier Mann starken "Search And Rescue" (SAR) Teams wird die Idee das Dorf mit Plakaten zu bestücken in die Tat umgesetzt. Während Robin und ich bereits im Auto sitzen und das Dorf ein weiteres mal abfahren, positioniert mein Vater die rund 30 Plakate an gut gelegenen Orten in ganz Lottstetten. Robin und ich fahren ein weiteres mal alle Straßen und Waldwege ab, die uns bekannt sind - nichts - gar nichts. Nach anderthalb Stunden brechen wir die Suche ein weiteres mal ab und treffen uns wieder zuhause.

Vermisst! - das Plakat

Keine 15 Minuten später kommt auch schon die erste Meldung einer Sichtung in Rafz (dem schweizer Nachbarort) rein. Ich bekomme das Gespräch nur einseitig mit, bis meine Mutter abrupt und genervt auflegt.

"Sie wurden verarscht" - na danke für pubertäre falsch erzogene Kinder!

Mittlerweile ist auch TomTom (ein Kollege aus Weinfelden (CH)) aufgewacht und will uns bei der Rettungsaktion unterstützen. Ich muss mich jedoch erst einmal vom Rechner eines Kunden Einmal neue Hardware, bitte entledigen und bin für etwa eine Stunde abwesend.

Nach meiner Rückkehr wird die Suche neu organisiert. TomTom und ich gehen den über den Mittag eingegangenen Meldungen über Sichtungen nach, während sich Robin und mein Vater durch den Wald am Dietenberg (Ortsteil von Lottstetten) kämpfen. Mein Handy klingelt und meine Mutter teilt mir mit, dass der Hund vor nicht all zu langer Zeit auf dem Dietenberg gesichtet wurde. Dank einer sehr detaillierte Beschreibung des Feldweges fahren TomTom und ich also die Feldwege dort oben ein weiteres mal ab. Kurze Zeit später erhalte ich einen Anruf meines Bruders, der nun knappe zehn Meter vom Hund entfernt am Waldrand steht. Ich versuche schnellst möglich an den beschrieben Ort zu kommen. Doch der Hund hat sich schon weiter durch den Wald gekämpft und geriet wieder mal aus den Augen. Nach Durchkämmen des Waldstücks fahren wir nach Hause um etwas zu essen zu fassen und planen den nächsten Einsatz. TomTom und ich greifen über die schweizer Seite an, hier führen schließlich etliche Waldwege in die Schweiz rüber. Meine Mutter und Robin greifen von unten her an, während mein Vater einen mittleren - auf der Karte nicht verzeichneten - Waldweg wählt. Mein kleinster Bruder hat den Mittag über zwar auch mit der Suche nach dem Hund verbracht, klinkt sich jetzt aber leicht memmemd aus - er muss ja schließlich noch Hausaufgaben machen. .oO(Ja ne is klar!)

Nach dem jeder Waldweg mehrfach abgefahren und abgelaufen wurde, treffen wir uns um 21:30 Uhr auf dem Dietenberg. Es ist schon recht dunkel geworden und im Wald sieht man rein gar nichts mehr. Wir beschließen die Suchaktion für heute aufzugeben und diskutieren noch kurz über das Vorgehen am nächsten Tag. Es wird sehr frisch und ich verlange das Gespräch nach Hause zu verlagern und setze mich ins Auto.

Auf dem Heimweg sehen wir allerhand Katzen, die wir ersten Moment für unseren Floh halten. Die letzte "Katze" zog dann eine Leine hinter sich her und trottete Richtung Unterdorf. Floh! Ich halte an, steige aus und rufe nach ihm. Er dreht sich um, erkennt mich und läuft weiter. Robin springt im Anrollen noch aus dem Auto und will dem mittlerweile rennenden Hund hinterher. TomTom und ich fahren neben dem Hund her, bis ich auf die Idee komme ihn zwischen dem Auto und dem Zaun neben ihm einzukeilen. Es gelingt, der Hund steht! Ich öffne die Türe um nach der Leine zu greifen... und sehe ihn nur noch davon rennen. Wir fahren weiter auf gleicher Höhe. Der Hund hat mittlerweile offenes Feld erreicht und rennt natürlich aufs Feld. Bis jetzt habe ich gar nicht an Robin gedacht, der seit 500m hinterher rennt. TomTom und ich müssen auf einmal lauthals loslachen.

Ca 50 Meter vom Auto entfernt rennt ein Hund mit Leine. Ca 15 Meter hinter dem Hund mein Bruder im Vollsprint. Diese Szene sieht einfach zu köstlich aus - warum habe ich keine Videokamera? Wir verfolgen den Hund weiter, bis er über die Gleise springt und sich wieder in dem Areal befindet, in dem Robin und ich den Hund heute morgen zuerst gesehen hatten.

Es ist mittlerweile sehr dunkel geworden. Robin und TomTom durchkämpfen mit Taschenlampen bewaffnet das kleine - aber sehr dichte - Waldstück. Meine Eltern stoßen zu uns, doch keine Chance. Um ca. 22:15 Uhr sitzen TomTom und ich zuhause und besprechen wann und wie er nach Weinfelden kommt - er muss am nächsten Tag ja schließlich arbeiten. Ein Blick auf die SBB-Webseite verrät uns, dass der nächst mögliche Zug um 23:06 in Schaffhausen fährt. Damit TomTom nicht am nächsten Morgen noch nach Weinfelden gurken muss, fahre ich ihn schnell nach Schaffhausen an den Bahnhof. Auf dem Rückweg überfliege ich ein letztes mal das Zielgebiet und kehre ohne etwas gesehen zu haben zurück nach Hause.

Mit gedrückter Stimmung wird das "Feierabend-Bier" getrunken und ich verschwinde umgehend im Bett. Ich Bin Tot. Der Hund ist weg. Meine Eltern sind traurig.

Eigentlich schlafe ich ja jetzt, aber ich erzähle dennoch wie es weiter geht.

Meine Mutter will nicht aufgeben und düst mit Taschenlampe los, mein Vater mit Auto hinterher. Nach einer weiteren Stunde erfolglosem Suchen kehren beide nach Hause zurück.

Während des ganzen Tages stand die Haustür "sperrangel weit offen". Irgendwer hatte wohl tatsächlich die Hoffnung, dass der Hund von selbst wieder nach Hause kommt. Eine Person, meist mein kleinster Bruder, war zu jeder Zeit zuhause, falls denn der Hund wieder auftauchen sollte.

Meine Eltern kommen um halb 2 Uhr morgens wieder nach Hause - auch sie haben endlich eingesehen, dass es nachts keinen Sinn macht. Doch was streckt da seinen Kopf aus dem Körbchen? Ein total dreckiger und beleinter Floh - er ist daheim!

Abschließend möchte man meinen, der Hund hätte uns nach Strich und Faden verseckelt und endlich einmal die Regionen erkunden können, wo wir nicht mit ihm hin wollten.

Was hat es eigentlich mit dieser komischen Ausdrucksweise von wegen MIA, SAR und Co zu tun? Zu Zeiten, in denen wir in Israel lebten, haben wir Modellflugzeuge fliegen lassen. Um ein wenig das Gefühl zu bekommen wie die Maschinen in der Luft reagieren haben wir uns natürlich mit Flugsimulatoren beschäftigt. MIA bedeutet Missing in Action und war der Status der Mission, wenn wir abgestürzt waren. SAR ist die allgemeine, nicht unbedingt militärische, Abkürzung für Search and Rescue.

Vielen Dank fürs Gespräch, chüss